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Mo sitzt an die Steinmauer gelehnt und muss dringend gähnen, seine Augenlieder wollen Feierabend haben. Er zieht die Stirn immer so hoch, dass sich Rillen bilden, Marionettenschneisen, obwohl er im Moment kein bisschen am Nachdenken ist. Mo starrt auf die Fotos an der Raufasertapete, seine Ohren haben für heute dicht gemacht, geschlossen, keiner Zuhause, Nachtruhe, für den Schwachsinn sowieso niemals offen gewesen, er ist ja kein Wandervogel, an die Wand gerotzt in Lederhose, aber nicht so ne Latex SM Black Door Hose, sondern eine Buxe, eine Lederbuxe auf Wanderschaft mit Abzeichen und einer guten Tat in der Tasche. Die Gruppe minderjährig und mit Panorama. Am Mikrofon spuckt Einer, der da mitgewachsen ist, die Abenteuer aus. Ungarischer Rotwein, Mädchentraube, viel zu süß, Mo nuckelt an der Flasche und schiebt seine schwarze Kapuze über den rasierten Indianer.

In der Flasche schwimmt der Korken in der Pfütze. Fin hat ihn mit dem Meißel durchstoßen, jetzt stößt er Schluck um Schluck an den Schneidezahn von Mo. Den Anderen hat er verloren. Vielleicht bei den Chaostagen, vielleicht, als er von der Rolltreppe zur U- Bahn flog, vielleicht im Hexenkessel, als die Scheiß Bullen ihm sein Bürgerrecht nahmen gegen die braune Soße anzuschwimmen und danach war er in der Scheiße ertrunken.

Neben Mo sitzt Sarah und nuckelt an ihrem Daumen. Bei jedem neuen Wurf an die Wand hört sie sich so an, als ob sie eine Gräte verschluckt hätte. Dabei wird sie ganz rot und sieht konzentriert hin oder weg. Dann schaut sie Mo an, direkt in die Augen. Ihre sind graues Nichts, ein Universum mit kleinen giftgelben Planeten, die um den schwarzen Abgrund kreisen. „ Mo, fick mich heute Abend.“ Wenn ich es noch kann, denkt Mo. Ein Tropfen Spucke zielt seine Finger. Mo reibt und lässt sie wandern, drei Häute entlang. Sie kriechen feucht unter den Bügel und reiben den Nippel zum Berg. Sarah glaubt an den Frieden, an Lagerfeuer und die Apfelfront. Ernsthaft. „ Ach, fick doch wen anders.“ Mo trinkt aus, drückt die Knie durch und steht schwankend, stolpert, und schwebt gegen den vögelnden Sänger der Show. Nie wieder, das ist klar. Seine Eltern machen Liebe im Hochbett und denken an früher, als Falken noch Raubvögel waren. Heute schlafen sie in ihrem Nest, gebaut aus Lüge und Verrat an der Idee, die sie gebrütet hatten. Aber danach brüteten sie Kinder und jetzt nur noch ihr Geld.

Auf der Wiese verglimmen die Funken von Bella Ciao und von dem Schwindel im Kopf aus Schnaps und aus Tanz um die Flammen. Mo wühlt die Kohle mit der Schuhspitze von heiß zu kalt, die dicke Luft schneidet in seine Nase und lässt die Augen tränen. Schwarzer Rotz kriecht in sein Hirn und macht es dicht. Mo blickt auf und sieht Gelächter. Dort drüben sind Fin und die anderen um brennende Scheite und kiffen, Sarah ist auch da, was soll’s.

Mo sitzt im Schneidersitz dabei und kriegt den Rest von der Tüte. Marie bläst ihm Einen, Mund zu Mund, die heiße Wolke lässt ihn fallen. Mo segelt nicht, er stürzt in den Wald aus vertrocknetem Holz, sinkt auf gebrochene Äste, spitze Zweige und Nadeln. Über Mo nur Gestrüpp und Marie, die leise lacht. Sie zerrt an seiner Hose und schleift sie bis zum Knie. Wo sind ihre Augen, hat sie welche, wo ist ihr Gesicht, Mo weiß es nicht, weiß nur, dass er fällt. Er krallt seine Hände in Maries Rücken, sie schreit. Warum, weiß er nicht. Mo schubst den Körper weg und rennt durch die Tannen, er schreit den Mond an, sonst ist niemand in Sicht.

© Anna Fastabend, 2010